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„Integration bedeutet gegenseitiges Verständnis, dafür sind beide Seiten zuständig“

Eva-Maria Weinmann aus dem KV Ostallgäu begleitet ausländische Pflegekräfte bei der Integration. Im Rahmen eines Leuchtturmprojekts, das vom Innovationsfonds des BRK der Zukunft finanziert wurde, unterstützt Sie u.a. Fachkräfte aus Rumänien, Albanien oder dem Kosovo.

Sie sind Pflegefachkraft, die zuständig ist für die Integrationsbegleitung von ausländischen Pflegekräften. Diese Stelle wurde eigens für diesen Zweck geschaffen - wie kam es dazu?

Eva-Maria Weinmann: Der KV Ostallgäu arbeitet schon seit vielen Jahren mit ausländischen Pflegekräften. In all den Jahren hat man die Erfahrung gemacht, dass die Vorbereitung auf eine Arbeit in Deutschlandnicht gut funktionierte. Die kulturellen Unterschiede und die großen sprachlichen Schwierigkeiten – vor allem in der „Pflegesprache“ und auch in Bezug auf den Allgäuer Dialekt – machten sich deutlich bemerkbar. Der KV OAL hat dann die Gelegenheit im Rahmen der Kampagne „BRK der Zukunft“ ergriffen und sich mit dem Projekt „Berufliche und soziale Integration von ausländischen Fachkräften in den Einrichtungen“ beworben.

Ich war zum Projektbeginn bereits im Kreisverband tätig – in einer Jugendwohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Ich habe mich beworben, weil das Projekt die Aufgaben umfasst, die meiner Profession und meinen beruflichen und privaten Erfahrungen entspricht.

Wie können wir uns einen Arbeitstag von Ihnen vorstellen – wie läuft die Integration konkret ab?

Das ist sehr individuell, aber das muss Integration auch sein. Meine Aufgabe besteht darin, den internationalen Kolleg:innen beiseite zu stehen, ein offenes Ohr für sie zu haben und im pflegerischen Alltag zu unterstützen. Hilfe beim Ausfüllen eines Antrags, bei zwischenmenschlichen Fragen, bei der Dokumentation oder der Versorgung der Bewohner:innen. Im Zuge des Projekts habe ich ein Nachschlagewerk erstellt, in dem verschiedene Arbeitsabläufe beschrieben werden, die teilweise auch mit Fotos für ein besseres Verständnis sorgen. Zum Beispiel: Was ist ein Pflegewagen und was gehört hinein?

Bei der Integration sollte man unbedingt auch das Stammpersonal miteinbeziehen. Sie erhalten Unterstützung, klar, aber jeder muss von jedem lernen. Denn Integration bedeutet auch gegenseitiges Verständnis, dafür sind beide Seiten zuständig. Meiner Erfahrung nach ist das auch vom jeweiligen Team abhängig. Man muss Lust auf das Neue haben, und sich für seine Mitmenschen interessieren. Ich hatte das Glück, dass ich mit vielen Menschen zusammenarbeiten durfte, die es als Bereicherung gesehen haben, voneinander zu lernen. Wir müssen uns vor Augen führen, warum diese Leute kommen – nämlich weil wir sie brauchen, weil wir zu wenige Fachkräfte haben, die sich um unsere ältere Generation kümmern!

Was ist in Deutschland anders, welche Routinen, Gewohnheiten oder Eigenheiten?

Ein großer Unterschied ist das Pflegeverständnis. In Rumänien bspw. gibt es den Beruf des Altenpflegers nicht, sondern nur Krankenpfleger. Die Ausbildung ist komplexer und hat ihren Schwerpunkt in der Medizin. Das Unterstützen bei der Körperpflege wird nicht gelehrt, das übernehmen die Angehörigen. In der Pflege geht es dann oft auch stressig zu, dann herrscht bei uns ein rauerer Ton. Diese deutsche Direktheit wird als unhöflich wahrgenommen, ist aber nicht böse gemeint. Aber damit müssen die Migranten umgehen lernen.

Sie waren in Afghanistan als Pflegekraft tätig – wie hat das ihre Sicht auf die Dinge verändert?

Dinge, die für mich selbstverständlich waren, existierten dort nicht. Wie oft Hände gewaschen oder desinfiziert werden, hängt davon ab ob genügend Seife und Desinfektionsmittel vorhanden ist. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist das unterschiedliche Pflegeverständnis zu verstehen und dann darauf einzugehen. Wir in Deutschland machen es nicht besser, weil wir schlauer sind, sondern weil wir bessere Möglichkeiten haben!

Ich erlebte ähnliches wie unsere internationalen Kollegen, wodurch ich mich ihn ihre Lage hineinversetzen kann. Es ist sehr viel am Anfang, man läuft auf Hochtouren. Ich musste mich auf die Sprache konzentrieren, dazu prasselten sehr viele verschiedene Eindrücke auf mich ein. Es wird oft unterschätzt wie anstrengend das sein kann. Dazu kommen noch die Erwartungen der Kollegen, der psychische Druck. Ich fühlte mich als wäre ich jeden Tag einen Marathon gelaufen. Die Situation führt manchmal einfach zu Überforderung.

Was war Ihre Aufgabe in Afghanistan?

Das Ziel war einen internationalen Standard zu erreichen. Ich war 26 und eine Frau bin ich noch dazu. Meine Vorschläge wurden vom Klinikleiter oft abgeschmettert und später als seine eigenen verkauft. Aber man muss die Situation verstehen: vielleicht konnte er kulturell bedingt einer jungen, deutschen Frau nicht einfach zustimmen und ich kann auch nicht wie die Axt im Wald Änderungen durchboxen. In deren Land gelten deren Regeln.

Was klappt schon gut und wo gibt es noch Stolpersteine?

Wir sind auf einem guten Weg. Was viel Improvisationskunst erfordert ist die Einarbeitung und auch die soziale Integration. Die Sprache ist der Knackpunkt. Man kann fachlich noch so gut sein, aber wenn die sprachliche Kompetenz nicht da ist, kann man keine Führungsposition einnehmen. Oft führt es zu Frust oder Missgunst der Migranten, dass Muttersprachler bei der Besetzung von wichtigen Aufgaben oder Führungspositionen bevorzugt werden. Das könnte man als Stolperstein bezeichnen.

Wie kann das verbessert werden?

Wenn Migranten fachlich und sprachlich bereit sind Verantwortung zu übernehmen, sollten sie dringend in Führungspositionen kommen, um als Vorbild zu agieren. Ich erinnere mich an einen jungen Mann aus Afghanistan: er war Asylbewerber, dann Praktikant, Azubi und jetzt ist er Wohnbereichsleiter. In der Ausbildung und Anleitung haben uns viele ausländische Azubis bestätigt, dass sie Dinge wesentlich besser verstehen, wenn sie ihnen von einem Migranten erklärt werden. Sie trauen sich dann mehr nachzufragen, weil keiner sprachlich überlegen ist.

Wie hilft das digitale Patenprogramm des BRK bei der Integration?

Das Programm ist ein guter erster Schritt fürs "Onboarding", dass beginnen kann, wenn die Pflegekräfte noch in ihren Heimatländern sind. Die Mentees haben sich mehrmals dafür bedankt, dass sie jetzt schon betreut werden, dass sie jemanden haben, an den sie sich bei Fragen wenden können. Man lernt die Pflegekräfte schon im Vorfeld gut kennen und sie erfahren etwas über den Pflegealltag in Deutschland.

Ein richtiger Abschluss der Integration ist sicher schwer an Dingen oder einem Zeitpunkt festzumachen, aber ab wann ist Ihre Arbeit bei der Integration zu einem Großteil getan?

Die beiden wesentlichen Erfolgsfaktoren für das Gelingen sind die Sprache und die fachliche Sicherheit. Beides muss hart und langwierig nach der Ankunft gelernt werden, egal, was auf dem Examen steht. Danach gelingt auch das Privatleben deutlich besser.